Grundlegung der Metaphysik der Sitten
Aufgabe einer Grundlegung der sittlichen Verpflichtung in Ethik und Recht
Die Grundlegung von Ethik und Recht, die Kant im Anschluss an die Kritik der reinen Vernunft unter dem Titel einer „Grundlegung der Metaphysik der Sitten“ (GdMS 1785) unternimmt – und deren Anliegen wir zu erneuern haben – geht von der Einsicht aus, dass eine Unterscheidung von unbedingt zu beachtenden Prinzipien gegenüber empirischen, aus der Erfahrung des Handelns und Verhaltens von Menschen aufgenommenen Grundsätzen zu treffen notwendig ist, die auf einleuchtende, vernünftige Weise mitvollzogen werden kann.
Diese dann auch methodisch bedeutsame Unterscheidung in der Art und Auffassung des Grundlegenden und Maßgeblichen, das Verbindlichkeit zu stiften vermag, entspricht dem zu begründenden und in seinem Begriff zu bestimmenden Sittlichen selbst. Die Sittlichkeit als begründet zu ermöglichende Orientierung des Sittlichen (in Ethik und Recht) und die sie begründende Grundlegung müsse sich in den selben Prinzipien ausweisen: die als grundlegend einsehbaren Bestimmungsgründe müssen für das zu Begründende selbst (also die Verhaltensorientierung von Personen, die ihre Handeln und Verhalten selbst verantworten) ursprünglich sein.
Darum hat die Grundlegungsarbeit nicht nur an der Metaphysik der Sitten als System der vernünftigen, Prinzipien und Bedingungen achtenden Einsicht teil, sondern am Sittlichen selbst, das der sie reflektierenden Beurteilung und Steuerung im wissensfähigen, willensbestimmten Verhalten bedarf, wo Entscheidungen zu treffen, zu beurteilen und zu begründen sind.
Sie richtet sich auf als unabhängig von empirisch gegebenen Bestimmungsgründen zu fassende Prinzipien, die für die maßgebende Annahme in der sittlichen Beurteilung den von (konflikthaften) Neigungen oder Begierden und (partikularen) Interessen bestimmten Willensausrichtungen geltungsmäßig entgegengesetzt, in der praktischen Urteilskraft aber auf sie als zu berichtigen, zu beherrschen, und zu überwinden bezogen sind.
Die Grundlegung muß aus der Entgegensetzung in der Annahme des maßgeblicih Geltenden zugleich auf das Bezug nehmen, was im Gebrauch und Mißbrauch von Urteils- und Bestimmungsvermögens (des Willens) durch Grundsatzbestimungen geleitet ist, denn nur diese sind der berichtigenden Orientierung fähig. Die aufzufindenden Prinzipien und festzustellenden Grundsätze müssen von sich aus auf das gehen, was der (bildend berichtigenden) Steuerung durch sie bedarf.
Das grundlegende Verfahren ist darum zunächst das eines Auffindens der für das personale menschliche Verhalten grundlegenden Bestimmungsgründe, die zu dessen Orientierung nach der Selbstgemäßheit der in Anspruch genommenen Vermögen tauglich und erforderlich sind:
Gegenwärtige Grundlegung ist aber nichts mehr, als die Aufsuchung und Festsetzung des obersten Princips der Moralität, welche allein ein in seiner Absicht ganzes und von aller anderen sittlichen Untersuchung abzusonderndes Geschäfte ausmacht. (GdMS Vorrede IV 392)
Die immer auch berichtigende Festsetzung der in Begriffen und Grundsätzen zu fassenden Prinzipien dient der Abhaltung und Überwindung von Irrungen, die sich mit der Anwendung von Begriffen und Grundsätzen in der Willensbestimmung ergeben.
Für das Selbstbewußtsein der Menschen als (verantwortungsfähige) Personen gehen wir mit Kant davon aus, dass es dieselbe Vernunft ist, die wir als Vermögen [der Verpflichtung und der Begründung achten und gebrauchen, ansprechen und einbinden, das aber seine Aufgaben und Bestimmungen verfehlen kann und – wie die Kritik zeigte, sich selbst ungemäß verhalten kann – vernunftlos im Vernunftgebrauch.
Die argumentative Durchführung der GdMS von 1785 differenziert jedoch nicht ausreichend zwischen Vernunft und Urteilskraft und beachtet die Unterscheidung von Grund als Gesetz gegenüber Idee und Maß der Vermögen nicht – unter Vernachlässigung von in der KrV bereits erreichen Einsichten. Dies ist aber, wie sich zeigen wird, gerade für den Anspruch ein Problem, die Prinzipien der Moral der gemeinen Vernunfterkenntnis gemäß festzustellen, da die Einheit der Vernunft zwischen den Menschen nur in Rücksicht auf die Idee ihres Vermögens zu wahren ist, das zu haben alle Menschen geachtet werden, aber als Vermögen der Bildung, Übung und Orientierung bedarf und nicht als „angeborene“ Fähigkeit wie eine Eigenschaft behandelt werden kann (die den Menschen gar gegen andere Wesen auszeichnete). (Die GdMS hat ihre Grundlage nicht in einer Anthropologie und unternimmt, um dies klarzustellen, keinen Versuch der Bestimmung des Wesens des Menschen).
2.
Analog der Rechtfertigung des zugleich einschränkend begrenzten Gebrauchs von Kategorien für die Ermöglichung objektiver Erkenntnisurteile müsste es auch in der Kritik der praktischen Vernunft um die korrigierend rechtfertigende Bestimmung des Gebrauch von Begriffen der in Gesetzgebung und Rechtsprechung leitenden Grundsätze gehen. Doch werden wir sehen, dass gerade hier noch methodisch Arbeit (zur Bestimmung der maßgeblichen Vermögensbegriffe) zu leisten ist.
Ich habe meine Methode in dieser Schrift so genommen, wie ich glaube, daß sie die schicklichste sei, wenn man vom gemeinen Erkenntnisse zur Bestimmung des obersten Princips desselben analytisch und wiederum zurück von der Prüfung dieses Princips und den Quellen desselben zur gemeinen Erkenntniß, darin sein Gebrauch angetroffen wird, synthetisch den Weg nehmen will. Die Eintheilung ist daher so ausgefallen:
1. Erster Abschnitt: Übergang von der gemeinen sittlichen Vernunfterkenntniß zur philosophischen.
2. Zweiter Abschnitt: Übergang von der populären Moralphilosophie zur Metaphysik der Sitten.
3. Dritter Abschnitt: Letzter Schritt von der Metaphysik der Sitten zur Kritik der reinen praktischen Vernunft. (GdMS Vorrede IV 392)
Als Grundlegung gehört sie wesentlich / fundamental zu dem, was sie begründet – und hat an der Aufgabe der kritischen Unterscheidung in der Annahme von Bestimmungsgründen Teil, um sie zu orientieren, zu ermöglichen und – vermögensgemäß – zu steuern.
Kant verleiht dieser fundamentalen Teilhabe in der Gliederung der Schrift zur GdMS dadurch Ausdruck, dass er sie nach Übergängen gliedert.
Den ersten Teile bezeichnet er als Übergang von der gemeinen sittlichen Vernunfterkenntnis – ausgehend vom Streben nach dem Guten und dem Erachten von etwas als gut in der Willensbestimmung – zur philosophischen Vernunfterkenntnis (des Sittlichen).
Den zweiten Teil betitelt er als Übergang von der populären Moralphilosophie – als kritische Reinigung – zur Metaphysik der Sitten (deren Programm / Aufgabe entworfen wird – mit den entscheidenden Passagen zur Erschließung der sittengesetzlich gebietenden Grundsätze S. 71 ff entworfen wird und historisch verfassungeschichtlich Eingang gefunden hat in die Grundgesetzgebung der sittlichen Gemeinschaft von Personen als Rechtsgemeinschaft.
Kant betont, das er keine anderen Prinzipien aufstellen kann, als die in der gemeinen Vernunfteinsicht waltenden Grundsätze des Sittlichen zu entdecken sind, weiß aber, dass der rechte Gebrauch von Vernunft und Urteilskraft im Verhalten der Handlungsentscheidung der berichtigenden Orientierung gegenüber dem Mißbrauch der das Gute und Rechte beurteilenden Vermögen bedarf.
Darum setzt er mit dem Bewußtsein der unter Freiheitbedingungen ihr Handeln selbst zu bestimmen fähigen und dazu auch verbundenen Personen die Aufgabe der Grundlegung als die einer Erörterung der Leitbegriff des personalen Entscheidungs- und Beurteilungsverhaltens an, zu denen – aus der Kritik der Vernunftvermögen – die Begriffe dieser Vermögen wesentlich gehören sollten – mehr als Kant dies in der Grundlegungschrift auszuführen vermochte.
3.
Die Unterscheidung gegenüber der Aufnahme von empirisch (konflikthaften) Bestimmungen in die Bestimmungsgründe des Sittlichen nimmt Kant durch die für die reflexive Erkenntnis der Formen und Funktionen des urteilenden Verstandes angemessene Unterscheidung von Form und Materie vor. Doch beachte dies nicht, dass es in der Willensbestimmung der praktischen Vernunft um das Kriterium der Zusammenstimmung von Bestimmungsgründen und dem Maß der Gemäßheit der teilhabendne Vermögen in deren angeleiteten Ausübung geht. Für die (gegenübe der Ungemäßheit sich stellende) streitlösend gesetzgebende Vernunft kommen hingegen die Reflexionsbegriffe von Einstimmung und Widerstreit zum Tragen.
Dagegen verkennt die Grundlegung des Sittlichen im Übergang zur Kritik der praktischen Vernunft, dass sie durch den „nötigenden Imperativ“ ihrer als Prinzipienerkenntnis aufzustellenden Grundgesetze (des Sitttlichen), dass sie es mit der Steuerung der willensgetragenen Bestrebungen im Handlen von Personen zu tun hat, die ihr als selbstgegeben anzuerkennenden Gesetze so anwenden müssen, dass sie als bestimmend dort zusammenstimmen, wo sie als zu befolgen geltend gemacht werden.
Schon die Verallgemeinerbarkeit von Grundsätzen ist nicht ohne Beachtung der materialen Bestimmungsgründe aus den sich unterscheidend maßgeblichen Vermögen des Personseinkönnens beurteilbar: die reine Form des Gesetzes kann kein zureichendes Kriterium sein, welche in ihrer Allgemeinheitsform sich im materialen Bestimmungsgehalte unterscheidenden Grundsätze zum grundlegend allgemeinen Gesetz werden können. Vielmehr müssen unbedingt zu achtende Bedingungen erkannt werden, die im durch Grundsätze steuerbaren Verhalten maßgeblich werden können – und diese müssen als zum Vermögen der gesetzgebenden Vernunft gehörend Grundsätze der vermögensreflexiven Urteilskraft sein.
Tatsächlich fächern sich die grundlegend sittlichen Gebote in jene Formulierungsgebote des Sittengesetzes auf, die Kant im Abschnitt der GdMS erschließt, die in ihrem material begrifflichen Gehalt die Würde der Person und die teilhabenden Vermögen an Gesetzgebung und Gesetzesbefolgung als ursprünglich verpflichtende Bestimmungsgründe ausweisen – und mit dem Kriterium der Zusammenstimmung in der rechtsprechenden Grundsatzanwendung – die Verallgemeinerbarkeit von je subjektiv befolgten Grundsätzen erst als Beitrag der gesetzgebenden Vernunft einbegreifen und rechtfertigen lassen.